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Das ist kein Verkleiden. Danke.

Wenn Kinder sich verkleiden, denkt man ja immer, die machen das, weil es so spannend ist. Kinder haben so ein Ding laufen mit Verkleiden. Außer meinem Kind, das mochte das noch nie. Auch nicht in der Kita. Wie auch immer- muss ja auch keiner, wenn er nicht mag. Mich hingegen hat das auch immer fasziniert.

 

Und was als Kind spannend war, hat sich im Erwachsenenalter nicht geändert. Und so wie manche Menschen sich in ihrer eigenen Moderichtung wohlfühlen, gibts für mich vor allem eine Mode, die sich innerlich richtig anfühlt: das späte 19. Jahrhundert. Massen an reenactment-Gruppen, Vintage-Schneider*innen und sehen das offensichtlich ähnlich und die Gruppen, die sich mit periodenspezifischer Mode auseinandersetzen, nähen, basteln und sich treffen scheinen immer größer zu werden. Einigen geht es um archäologisch/historisch korrekte Nachbauten, anderen geht es mehr ums korrekte Feeling - so wie neulich bei einem längeren Austausch in einem reenactment-Forum zwischen einem Druiden und archäologisch interessierten Rom-Reenactern. Wenn Emotion und Wissenschaft aufeinandertreffen, bleibt es selten ruhig.... aber es zeigt ziemlich gut, was die Menschen dort umtreibt: Herz vs. Verstand. 

Mich treibt eher was anderes um: die Möglichkeit, in eine frühere Welt nicht  nur mental, sondern auch ganz praktisch einzutauchen, und zwar so weit wie möglich eng an den tatsächlichen historischen / archäologischen Funden. Denn wenn man die Kleidung nach Originalschnitten auf der Haut fühlt oder Essen probiert, das nach alten Rezepten zubereitet wurde, dann kommt da außer dem "Hab ich gelesen" auch noch Fühlen ins Spiel und das Vergangene fühlt sich ein bisschen näher dran an. Als könne man zumindest ein bisschen nachvollziehen wie´s war. Wie man das ja auch hin und wieder in zu Mittelalter-Reenactment-Dörfern sehen kann, oder anderen Orten wo mal die "Vergangenheit wieder aufersteht". Die Schwäche, heute auch die Vergangenheit mitzusehen, habe ich einfach schon lange (s.a.: hier auf meinem anderen Blog) und ich finde immer noch, das Vergangenheit zu kennen und zu verstehen dazu führt, sich im Heute besser zu orientieren.  Berufskrankheit, meinetwegen, aber eben immer noch da, die Überzeugung. Und obwohl ich aus dem Beruf nun wirklich lange raus bin, hat sich das einfach nicht geändert: Vergangenheit fasziniert mich. Stumpfes Abhaken von Sehenswürdigkeiten inklusive Insta-Feed finde ich öde, und die römische Aracoeli-Insula am Kapitol interessiert mich viel mehr als das beeindruckende Kolloseum. 

Diverse Menschen aus der Swingcommunity fröhnen dieser Idee und tragen hin & wieder, oft oder sogar ausschließlich Vintage. Andere Menschen treffen sich zu Reisen zu Orten, an denen sie ausschließlich Kleidung von 1770 tragen oder 1850. Wie bei Prior Attires jährlichem viktorianischen Ball zB. Oder whatever, aber eben "damals". Was sie alle eint? Sie denken darüber nach, wie sich "Früher" angefühlt haben könnte und wollen es möglichst komplett spüren. Auch die Diskussion darüber, was "früher" ausmacht und ob wir dabei alle Gruppen sehen, hat Einzug gehalten. Die Diskussionen um Black Live Matters war riesig und ging auf diversen Kanälen in mehrere Runden. Hier nur der Link zu einer Reenacterin aus den USA, die stellvertretend stehen kann: Not Your Mommas History

 

Daher: rein in die historischen Klamotten, und mal gefühlt wie sich das macht in all den Lagen von 1890 oder, wie hier, dem Kleid von ca. 1946. Es macht was mit einem, versprochen.

 

PS: Und nein: es MUSS nicht immer alles Vintage sein - wer könnte das bezahlen? 

Kleiderquellen auf dem Foto: 

Hut: "zu verschenken"-Kiste auf der Warschauer Straße

Kleid: ca Ende der 1940er Jahre von Mimi-Textile Antiquitäten / Berlin

Strümpfe: American Duchess

Handtasche: Mutti, ca. 1970

Schuhe: Ricardo Cartillone

Armband: Flohmarkt in Rom, ca. 1950

 

 

 

 

 

 

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