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Follower-Empowerment

Auf dem Foto ist es April 2020 und ich bin noch ganz guter Dinge. Mein letzter Kurs VOR dem 1. Lockdown war der Shim Sham - eine Auffrischung, weil ich ständig diesen verflixten Teil in der Mitte vergessen (hier der Link zu meinem Lieblings-Shim-Sham aus Houston). Also war ich jazzy-solo-mäßig ganz guter Dinge, denn grade hatte ich mich aufgefrischt, die Straßen waren leer und ich dachte: Hey, warum nicht auch mal auf so ner leeren Straße tanzen. Es war Frühling, alles ruhig und ich tats einfach & hatte Spass dabei. Seitdem ist viel Wasser die Spree runtergeflossen. 

 

Da ich noch nie einen festen Tanzpartner hatte (was ja im Lindyhop nicht ungewöhnlich ist), saß ich tanztechnisch auf dem Trocknen. Es gab so oder so nur och Solokurse, und die auch nur online. Jeder murmelte alleine zuhause vor sich hin. Freunde machten Solojazz-Kurse, Solo-Shag-Kurse, Solo-Balboa-Kurse, Solo-Sonstwas-Kurse. ich machte: nichts. Ich übte zuhause Dinge, die ich bei Rock That Swing im Februar gelernt hatte und war traurig. Es fehlte mir soviel. Das hatte aber auch ein Solo-Kurs online nicht besser gemacht, denn mir fehlte der Partner dazu - das Gefühl das entsteht wenn zwei Menschen, die auf einer Ebene liegen, miteinander tanzen. Das wäre also so oder so nicht drin gewesen. Dann kam der Sommer und man konnte ein wenig, mit Abstand und Maske und so, draußen tanzen. Und sogar einen Kurs zu zweit machen. Es war fantastisch und machte glücklich. Dann war wieder Ebbe und nun stecke ich in einem Follower-Kurs (also doch solo).

Und so ganz langsam, ich weiß ja nicht wie das werden wird, wenn ich dann wieder mal mit jemand anderem tanze, aber so ganz langsam entdecke ich Dinge, die mir so im zweisamen Tanz immer etwas unklar waren. Liegt´s an der feministisch angehauchten Trainerin? Liegt´s an mir? an meinem Alter, an den Ideen, die mich bewegen wenn es um Feminismus und ausgeglichene Partnerschaft geht?

 

Woran auch immer es liegt, Fragen, die ich immer als Follower hatte, waren:

- Warum  wird mir immer die Schuld zugeschoben, wenn ein Move nicht läuft? 

- Warum findet es ein Leader seltsam, wenn ich ihm sage, dass ein Move mit einem anderen Leader durchaus läuft - aber mit ihm jetzt & hier eben nicht? Warum kann man da nicht einen Schritt zurücktreten und die Möglichkeit in Betracht ziehend dass es evtl an einem selber liegt?

- Warum ist so furchtbar, wenn man lacht wenn mal was schiefgeht? Es wirkt oft so, als sei das Gegenüber dann verunsichert oder verärgert. Äh - wieso? Macht ihr nie Fehler?

 - Warum sind Leader oft so betreten wenn ich sage, dass ich Swing für eine Art Kommunikation zwischen zwei Menschen halte, bei der eben auf BEIDEN Seiten was schief gehen kann? Dass ich es wichtig finde, klar zu kommunizieren UND gut zuzuhören - und zwar von beiden aus, weils sonst nicht läuft (außer man hat das Glück einen Seelenpartner im Tanz zu finden)?

- Warum tritt oft Konfusion ein, wenn ich mir die Freiheit nehme, selber ein bisschen (!) zu improvisieren? Wenn der Flow wirklich gut ist, dann macht mir das soviel Freude - Leader sind darüber oft extrem verunsichert. Es wirkt so, als würde sie das überfordern und vielleicht kommuniziere ich das falsch oder zu spät oder wie auch immer? 

 

Je mehr ich solo tanze, desto mehr merke ich, wie sehr mich diese Dinge in den letzten Jahren und ab einem gewissen Tanzlevel wirklich geärgert haben. Ich bin nicht alleine dafür zuständig, dass der Song läuft. Das sind wir nämlich beide. Ich kann für mich entscheiden was ich kann und will. Ich MUSS nicht durchziehen, was mein Gegenüber vorgibt. Ich KANN. Das ist ein himmelweiter Unterschied und hin & wieder habe ich Leader erlebt, die diesen Unterschied nicht kennen und einen ganz á la "ich zeig dir mal wie´s läuft, Mäuschen" IM Song auflaufen lassen, weil sie finden man mache das was FALSCH und da es ja nicht an ihnen liegen kann, dass man da was nicht schnallt, muss man es dem Anderen mal so richtig zeigen. Vor Allem als Anfängerin hat mich das erst geärgert und dann sehr verunsichert (heute tanze ich mit diesen Menschen aus Prinzip nicht mehr und besuche auch keine Veranstaltungen, die sie organisieren). 

 

Zu lernen, dass ich eine eigenständige und autonome Einheit bin beim Tanzen war für mich eine großartige Erfahrung & hat es mir zugleich viel leichter gemacht, auf den anderen zu hören und offener für ernste Kritik zu sein. Ich weiß, wo meine Schwächen liegen (vielleicht nicht alle, aber viele) und hoffe, dass ich langsam besser darin werde, meinem Gegenüber zuzuhören und dann smoother zu kommunizieren. Grade beim Lindy mit den ständigen Partnerwechseln finde ich das ne echte Herausforderung und der Rat, sich Zeit zu lassen, ist Gold wert. Sich erstmal ein paar Takte einzugrooven und dann 1-2 Songs miteinander zu tanzen. Von vielen Leadern höre ich trotzdem immer wieder dass besonders Follower toll sind, mit denen sie alles machen können. Ich weiß manchmal nicht - heißt das, dass diese Follower besonders gut zuhören? oder dass sie besonders unterwürfig sind? 

 

Für mich selber heißt es vor allem, dass ich immer mehr entdecke, wer ich bin & wie ich tanze. Dass jeder unterschiedlich tanzt. Dass jeder einen unterschiedlichen Körperbau und Rhythmus hat, und dass man da zusammenkommen muss. Sich auf den anderen einlassen - und zwar von BEIDEN Seiten. Das war mir lange Zeit total unklar, auch weil es nie Thema in den Kursen war. Momentan bin ich seit einigen Monaten bei Trainern gelandet, denen diese Aspekte wichtiger sind und die das auch ansprechen. Dadurch ist viel Unsicherheit und Unklarheit verschwunden und es folgt: Follower-Empowerment! Entspannteres, lockereres, freieres Tanzen zu zweit. Ich bin sehr gespannt, wie das im REAL LIFE nach all den verflixten Lockdowns funktionieren wird. 

 

 

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